Das glücklichste Volk der Welt
Das glücklichste Volk der
Welt - eine Buchrezension aus DER KNAUSERER:
Über facebook bekam ich
folgenden Hinweis auf Daniel
Everett, der ein Buch über das glücklichste Volk der Welt schrieb.
Das Filmchen überzeugte mich, dass das Buch gelesen
werden muss.
Es ist für Linguisten
sicher sehr interessant, sonst
würde ich den Kauf nicht so empfehlen. Die Kultur der Piraha ist sehr
einfach, aber
sicher nicht uninteressant. Man muss sich darauf einlassen, dass es
diesen
Lebensentwurf auch gibt und er offenbar ein erfolgreicher ist, denn er
macht
die Menschen glücklich - um nicht zu sagen glücklicher.
Im Buch charakterisiert
Everett ein Volk, das über eine
ganz besondere Sprache verfügt, die ihre ganz besondere Einstellung zum
Leben
widerspiegelt, die so ganz anders ist als unser Denken. Bei den Piraha
dominiert das Hier und Jetzt - Vergangenheit, Zukunft gibt es nicht.
Auch sehr
erstaunlich ist der Umstand, dass die Piraha weder zählen (es gibt nur
eins oder
viele/genug viele), keine Farben kennen, es keinen Numerus gibt, etc.
Jedenfalls
haben die Indianer den guten Dan gehörig umgekrempelt und ich möchte
nun ihm
das Wort überlassen:
Bereits zu Beginn zieht er
interessante Schlüsse wie
diesen, wohl das Geheimnis, warum er so tiefen Einblick in das Leben
der Piraha
nehmen konnte:
"Ich besaß viel, viel mehr
als sie, aber als ich
mein eigenes Verhalten genauer unter die Lupe nahm, wurde mir klar,
dass ich
angespannter, weniger aufgeschlossen, weniger gastfreundlich war als
viele
Menschen. Und dabei war ich Missionar. Ich hatte noch eine Menge zu
lernen."
Dennoch erkrankten Frau und
Kind an Malaria. Als sie mit
knapper Not überlebten, zieht er einen sehr westlichen Schluss: "Ich
war
verletzt, dass die Piranha für mich und meine Situation nicht mehr
Mitgefühl
erkennen ließen."
Erkennt aber sehr bald:
"Während ich in meiner
eigenen Krise steckte, kam ich nicht auf die Idee, dass die Piraha das,
was ich
auf so quälende Weise erlebte, regelmäßig durchmachten. ... Wenn bei
den Piraha
jemand krank wird, spielt es keine Rolle, wie leicht sich die Krankheit
mit
abendländischer Medizin behandeln ließe. Es besteht die große
Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person stirbt. Bei einer
Bestattung
eines Piraha kommen auch nicht viele Nachbarn und Mitglieder der
Familie
zusammen. Ganz gleich, ob die Mutter, das Kind oder der Ehemann stirbt
- man
muss jagen, Fische fangen und Nahrung sammeln. Das nimmt einem kein
anderer ab.
Das Leben macht vom Tod kein großes Aufheben."
Er reüssiert dann weiter:
"Und wir rechnen nicht nur
damit, dass wir länger leben, wir halten es auch für unser gutes Recht.
...
Aber ich habe nie erlebt, dass ein Piraha sich so verhält, als hätte
der Rest
der Welt die Pflicht, ihm in seiner Not zu helfen, oder als sei es
notwendig,
die normalen Alltagstätigkeiten hintanzustellen, weil jemand krank ist
oder im Sterben
liegt. Das ist keine Hartherzigkeit, sondern Pragmatismus. Und den
hatte ich
bisher noch nicht gelernt."
Die Piraha bauen auch keine
Häuser. Sie brauchen sie
nicht, denn so etwas wie Privatsphäre ist ihnen nicht wichtig.
Die Piraha haben auch kaum materielle Kultur: "Sie stellen kaum
Werkzeuge her,
kennen so gut wie keine Kunst und nur sehr wenige Handwerksprodukte.
Vielleicht
die auffälligsten Gerätschaften sind die großen, leistungsfähigen, etwa
zwei
Meter langen Bogen und die dazugehörigen, zwei bis drei Meter langen
Pfeile."
Und selbst wenn sie Handwerkserzeugnisse herstellen, so stellen sie
nichts von
langer Lebensdauer her. Körbe flicht man aus nassen Palmenblättern, die
nach
zwei bis dreimaliger Verwendung trocken sind und weggeworfen werden.
Ihre Bindung an materielle
Dinge ist sehr gering. Als
einziger Schmuck dienen - so Mr. Everett - grobe, unästhetische Ketten,
die aber
keine dekorative Wirkung hätten, sondern Geister abwehren sollten.
Obwohl sie Kenntnisse zur
Haltbarmachung von Lebensmittel
hätten, tun sie das aber nicht. "Ich habe im Amazonasgebiet nie eine
andere Bevölkerungsgruppe gesehen, die nicht regelmäßig ihr Fleisch
pökelt oder
räuchert. Die Piraha verbrauchen alles, sobald sie es gejagt oder
gesammelt
haben. Sie heben nichts auf." Sie betreiben keine Vorratshaltung.
Piraha essen aber auch
nicht täglich. Drei regelmäßige
Mahlzeiten kennen sie nicht, und sie empfinden das auch als unmäßige
Fresserei.
Sie ernähren sich von Fisch, Bananen, Wild, Maden, Paranüssen,
Zitteraalen, Ottern,
Kaimanen, Insekten, Ratten - die Ernährung besteht zu 70 % aus frischem
Fisch.
Getrunken wird das klare Wasser aus dem Fluss.
Sehr ungewöhnlich
beschreibt Everett auch den Schlaf-Wach-Rhythmus
der Piraha: "Ein Fisch, den jemand um drei Uhr morgens fängt, wird auch
um
diese Zeit gegessen. Sobald er gebracht wird, stehen alle auf und
nehmen die
Mahlzeit ein." Irgendjemand sei im Dorf immer wach, zu jeder Tages- und
Nachtzeit herrscht im Dorf reges Treiben. Eine Nacht durchzuschlafen,
halten
die Piraha für ungewöhnlich.
Everett fällt auch auf,
dass niemand bei den Piraha mehr
als 20 Stunden die Woche arbeitet - "aber die Tätigkeit [des Sammelns
und
Jagens] macht den Piraha Spaß und lässt sich kaum unter den westlichen
Begriff
von Arbeit einordnen."
Zusammenfassend stellt er
zur materiellen Kultur fest:
"dass Planung für die Zukunft ihnen weniger wichtig ist als der Spaß an
jedem einzelnen Tag. Deshalb investieren sie immer nur so viel
Anstrengung, wie
es für ein minimales Resultat gerade notwendig ist."
So wird es auch wenig
verwunderlich, dass die Piraha auch
keine Rituale kennen. Und so wird auch die zentrale Philosophie ihres
Lebens
klarer: "des Prinzips des unmittelbaren Erlebens“. Dieses Prinzip
besagt,
dass formelhafte sprachliche Formulierungen und Tätigkeiten, die sich
auf nicht
unmittelbar erlebte Ereignisse beziehen, vermieden werden.
Warum sind die Piraha so
glücklich? Einen
Erklärungsversuch ringt sich Everett ab, der mir sehr gut gefällt: "Es
liegt nicht daran, dass ihr Leben einfach wäre, sondern eher daran,
dass sie
alles, was sie tun, gut können." (Ich kommentiere hier nicht - aber der
Satz hat was!)
Das zieht auch mit sich,
dass die Kultur der Piraha sehr
konservativ gegenüber technischen Neuerungen ist: Sie sammeln zwar
Elemente von
außen ein. "Wenn solche Gerätschaften sich nicht ohne weiteres in die
traditionellen
Verfahrensweisen der Priaha integrieren lassen, werden sie abgelehnt."
Das Familiensystem ist
einfach, weder patriarchal noch
matriarchal, jeder kennt jeden. Wichtig ist die stabile Kernfamilie.
"Kinder
sind in ihrer Gesellschaft einfach Menschen und haben den gleichen
Anspruch auf
Respekt wie jeder Erwachsene. Man hält sie nicht für besonders schmuse-
oder
schutzbedürftig. Sie werden fair behandelt und man berücksichtigt ihre
geringere Größe und Körperkraft, aber im Großen und Ganzen hält man sie
qualitativ nicht für etwas anderes als die Erwachsenen. ... Durch ihre
Erziehung lernen sie, dass jeder seine eigene Last zu tragen hat, und
das führt
zu einer Gesellschaft aus zufriedenen Menschen."
Was aber die Piraha wieder
sehr einzigartig macht, ist
der Umstand, dass sie keinen Häuptling haben. Im Zentrum steht die
Gleichberechtigung aller, autoritäre Einflussnahme ist ihnen fremd. So
gibt es
keine Polizei oder Gerichte. Wer sich anormal verhält, wird für kürzere
oder
längere Zeit geächtet, was im Dschungel durchaus auch einem Todesurteil
gleichkommen kann, weil eine geächtete Person von der
Lebensmittelverteilung
ausgeschlossen wird.
Das Kapitel Geisterwelt,
das Fehlen von Folklore und
Überlieferung aufgrund des Prinzip des unmittelbaren Erlebens möchte
ich
auslassen. In diesem Kapitel hat mir aber der Satz sehr gefallen, weil
ich das als
Manko bei uns durchaus sehe: "Für die Piraha ist ein Mensch nicht in
allen
Phasen seines Lebens derselbe. Wenn man durch einen Geist einen neuen
Namen
annimmt, so ist man nicht mehr genau derselbe Mensch wie zuvor.
"Sie glauben auch nicht an
einen Himmel über uns, an
eine Hölle unter uns oder irgendeine abstrakte Sache, für die zu
sterben sich
lohnt. Damit verschaffen sie uns die Gelegenheit, darüber nachzudenken,
wie ein
Leben ohne absolute Werte, ohne Rechtschaffenheit, Heiligkeit und Sünde
aussehen
könnte. Es ist eine reizvolle Vision."
Mit diesem schönen Satz von
Everett möchte ich hier enden
- und diesen so anderen Gesellschaftsentwurf zur Diskussion stellen.
Spannend
war das Eintauchen in eine andere Philosophie jedenfalls.
Zum Buch "Das
glücklichste Volk. Sieben Jahre bei den Piraha-Indianern am Amazonas"
Vielleicht interessiert Sie auch das
glücklichste Land der Erde...
und "Die
Länder mit den glücklichsten Menschen"
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