Lobbykratie
statt Demokratie
aus einem Newsletter von foodwatch:
Wie sagte der Philosoph Jürgen Habermas letztens: "Die Politik macht
das, was 80 Prozent ablehnen. Deshalb wird die Demokratie zum
Störfaktor". Damit brachte er auf den Punkt, was immer mehr Menschen
denken: Wie kann sich ein Land demokratisch nennen, wenn das, was die
Politiker entscheiden, nicht dem Willen der Bevölkerung entspricht,
sondern dem einzelner Interessengruppen?
Warum wählen wir eigentlich, wenn am Ende nicht DAS geschieht, was WIR
wollen und ALLEN nützt, sondern vor allem das, was die Gewinne der
Banken, Versicherungen, Auto-, Chemie- und Lebensmittelkonzerne mehrt?
Und warum ist das so?
Ganz einfach: 30.000 Lobbyisten - ja, Sie haben richtig gelesen -
30.000 Lobbyisten, also fast 40 pro Europaparlamentarier, sorgen in
Brüssel dafür, dass die Demokratie zur Lobbykratie mutiert. Und daran
wird auch die in 2015 beschlossene Karenzzeit von 12-18 Monaten für
Politiker, die in die Wirtschaft wechseln wollen, nichts ändern. Denn
dieser Zeitraum ist viel zu kurz. Zumal den Politikern erlaubt ist,
schon während dieser Karenzperiode Arbeitsverträge für die Zeit danach
abzuschließen! Es wird nichts daran ändern, dass das Demokratieprinzip
weiterhin außer Kraft gesetzt wird.
Lobbykratie zum
Ersten:
Mit Marktmacht, Geld, "Think-Tanks" und Anwaltskanzleien wehren die
Konzern-Lobbyisten Gesetze ab, ja, verwandeln deren Stoßrichtung ins
Gegenteil. Eine Milliarde (!!) Euro hat die Lebensmittelindustrie
aufgewendet, und mit einer jahrelangen Kampagne die
"Ampelkennzeichnung" verhindert, die über 70 Prozent der Verbraucher
wünschen. Mit der Ampel hätten Käufer auf einen Blick erkennen können,
ob ein Lebensmittel viel, mittel oder wenig Zucker, Salz und Fett
enthält.
Deshalb war die Milliarde aus Sicht der Lebensmittelindustrie sehr gut
investiert - im Vergleich zu den drohenden Umsatzverlusten und
Gewinneinbrüchen. Denn plötzlich hätten die Verbraucher vermeintliche
Fitness-Produkte als Zuckerbomben entlarvt.
Lobbykratie zum
Zweiten:
Seit Jahren tut die Lebensmittelindustrie alles, um die Schriftgröße
für Informationen auf Lebensmittel- verpackungen möglichst klein zu
halten. So klein, dass sie kaum lesbar ist. Was ihr denn auch immer
wieder gelingt!
So haben es die Lobbyisten geschafft, den Vorschlag der EU-Kommission,
die Schriftgröße auf 3 Millimeter festzulegen, zu verhindern. Die
vorgeschriebene Mindestschriftgröße beträgt nun 1,2 Millimeter auf die
Höhe des kleinen x bezogen. In einigen Supermärkten finden Sie an den
Einkaufswagen festmontierte Lupen! Eine Lupe als Symbol für die
Bankrotterklärung der Politik.
Das i-Tüpfelchen, liebe foodwatch-Interessierte ist aber die Begründung
der Lebensmittelindustrie. Sie argumentiert nämlich, eine größere
Schrift würde ihren "Markenauftritt" gefährden! Klarer kann man nicht
sagen, dass nur der Gewinn zählt und der Verbraucher nichts!
Liebe foodwatch-Interessierte, es gehört zur Demokratie, dass
Interessenverbände sich für ihre Anliegen stark machen und
Parlamentarier und Regierungen davon überzeugen dürfen. Auch foodwatch,
als Streiter für die Rechte der Verbraucher, macht von diesem Recht
Gebrauch. Was aber nicht sein darf: Dass die Gesetze nach den
Interessen einer Wirtschaftsbranche geschrieben werden und unsere
Regierungen als Dienstleister der Industrie agieren! Wenn Sie, liebe
foodwatch-Interessierte, das auch so sehen, dann schließen Sie sich uns
an und werden Sie Förderin/Förderer.
Lobbykratie zum
Dritten:
Das Schweinefleisch für den Schwarzwälder Schinken darf, solange es im
Schwarzwald verarbeitet wird, aus ganz Europa (ja sogar aus
Neuseeland!) kommen - wir erfahren es nicht. Und die Früchte der
Marmelade können aus Südamerika kommen - wir erfahren es nicht.
Weil aber Verbraucher wissen wollen, woher die Lebensmittel kommen, die
sie kaufen, hat sich das EU-Parlament für eine verbesserte
Herkunftskennzeichnung ausgesprochen. Auch diese Initiative ist an der
hartnäckigen Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie gescheitert. Nach
eigenem Bekunden "rügte" der Spitzenverband der Lebensmittelindustrie
das Ansinnen des EU-Parlaments als "zu weitgehend".
Das Ergebnis ist bekannt: Es gibt nach wie vor keine
Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel. Anscheinend hat
mittlerweile die Lebensmittel-Lobby die Oberaufsicht über die
Gesetzgebung: Bei Verbesserungen für den Verbraucher wird "gerügt" und
- basta!
Und was macht die Politik? Sie knickt ein. Es gibt beispielsweise ein
"Transparenzregister" in Straßburg und Brüssel. Hier sollen sich alle
Lobbyisten mit ihrem Interesse und Budget eintragen. So der fromme
Wunsch. Doch dieses Register ist, mit Verlaub, eine Lachnummer! Warum?
Die Eintragung in das Transparenzregister ist freiwillig!
Liebe foodwatch-Interessierte, mittlerweile habe ich einige Jahre
politischer Erfahrungen hinter mir. Aber ich muss Ihnen leider sagen:
Es wird nicht besser, es wird schlimmer! Mit immer ausgefeilteren
Methoden und Strategien hebeln Wirtschaftsinteressen das Allgemeinwohl
aus. Und die Regierungen lassen sich regelrecht vorführen. Es möglichst
den Konzernen recht machen - das scheint die Devise zu sein. Mein Team
und ich wollen das nicht akzeptieren. Es darf nicht sein, dass die
Lebensmittelkonzerne die Lebensmittelgesetze schreiben! Stärken Sie die
Stimme der Verbraucher. Werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch.
Wir brauchen Ihre Unterstützung, um diesen Kampf für uns alle zu
führen. Im Moment sind wir in ganz Deutschland etwa 33.000
foodwatch-Mitglieder, also etwas mehr als Lobbyisten in Brüssel, die
der europäischen Politik ihre Ziele einflüstern. Wenn wir etwas
verändern wollen, müssen wir aber VIEL mehr werden und die Anzahl der
Lobbyisten deutlich überschreiten. Dann können wir gemeinsam den
Einfluss der Lebensmittellobby zurückdrängen. Ich bitte Sie deshalb,
werden Sie ein Teil von foodwatch, werden Sie noch heute Förderin/Förderer von foodwatch.
Wirtschaftliche Macht darf nicht mehr Einfluss auf politische
Entscheidungen haben als unsere demokratischen Rechte auf Transparenz
und Gesundheitsschutz beim täglichen Lebensmitteleinkauf!
Werden Sie jetzt Förderer/Förderin von foodwatch! Ich verspreche
Ihnen - wir geben nicht auf!
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