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Clever sein

Der frühe Vogel fängt den Wurm -
(der späte lässt ihn sich servieren).

Mögen Sie Würmer? Ich auch nicht. Das liegt wohl daran, dass wir keine Vögel sind, höchstens gelegentlich „ulkige“. Aber bestimmt haben Sie den ersten Satz schon einmal gelesen oder gehört. Dieser Ausspruch fällt immer dann, wenn man Sie zu etwas „motivieren“ will, anders ausgedrückt, wenn Sie etwas tun sollen, was Ihnen normalerweise nicht im Traum einfällt. Der erste Teil des Ausspruchs stammt aus Amerika - woher auch sonst als aus dem klassischen Land der Ausbeutung. Dort wurde auch das „positive Denken“ erfunden - nie war Selbstausbeutung schöner und effektiver.

Was aber tut ein Vogel am frühen Morgen? Zuerst einmal singt und pfeift er sich eins. Erst danach widmet er sich den Würmern - so er welche mag. Manche bevorzugen nämlich Sämereien und im Sommer die süßen Kirschen. Auf jeden Fall betrachten sie dies als ihre „Tagesarbeit“ und nehmen dabei mit Vorliebe Gelegenheiten wahr, die sich ihnen im Laufe des Tages bieten. Den Wurm nach einem Gewitterregen, die Körner aus dem Futterhäuschen. Oder mit anderen Worten: Vögel suchen ihr Fressen nur dann, wenn sie niemanden finden, der es ihnen serviert. Und das liegt einzig und allein daran, dass sie sich nicht „motivieren“ lassen. Trotzdem gehen leider immer wieder welche „in die Falle“. Vögel sind halt auch nur Menschen.

Die gehen bevorzugt in die Falle. Man braucht ihnen nur etwas von „viel Geld ohne viel Arbeit“ zu erzählen. Zack - schon ist die Falle zu. Und je intelligenter sich jemand wähnt, desto schneller ist er in der Gier-Falle gefangen. Die drei besten Betäubungsmittel für menschliche Hirne lauten nämlich: Gier, Neid, Erfolg.

Der Rest ist nur noch Geduldssache: Denn wie lautet der kluge Spruch: „Jeden Morgen steht irgendwo ein Dummer auf, man muss ihn nur finden“. Haben Sie auch einen schönen Papierkorb zuhause? Heute schon gefüllt? Womit? Na, mit dem Schreiben, dass Sie schon wieder 20.000 Euro gewonnen haben - nur noch der Anruf bei einer kostenpflichtigen Telefonnummer - und schon: sind Sie wieder reingefallen. Der Geldbrief, den Sie nur weiterversenden müssen, und jeden Tag steckt ihr Briefkasten mit Geldscheinen voll - heute schon ausgeräumt oder lediglich ausgeträumt? Undsoweiter, undsofort.

Woran erkennt man Angebote, mit denen man über den Tisch gezogen werden soll? An zwei ganz einfachen Fragen. Erstens: Warum unterbreitet mir jemand ein Angebot, anstatt es selbst zu machen? Zweitens: Warum unterbreitet man ausgerechnet mir dieses Angebot, obwohl man mich doch gar nicht kennt? Antwort auf beide Fragen: Da will mich jemand über den Tisch ziehen. So einfach ist das - und schon hat der Papierkorb wieder was zum Mampfen.

Nachdenken hat noch niemanden geschadet - und kostenlos ist es obendrein.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
(wer zu früh kommt, den bestraft die Bank)

Wenn sich eines Tages kein Mensch mehr an Gorbatschow und die untergegangene Sowjetunion erinnern wird - sein Spruch reiht sich mit Sicherheit unter die Klassiker ein, mit denen Betrüger aller Couleur arbeiten. Damit kann man jeden zu jeder Dummheit drängen, ohne dass es besonders auffällt. Klar, wer will schon zu spät kommen?

Dieser Satz steht auf der gleichen geistigen Spitze wie dieser: „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen“. Selten so gelacht! Nur zur Erinnerung: Stichwort Neuer Markt (schon auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet) und die „New Economy“. Ja, was war‘n die Buben schnell, kaum dass das Geld auf dem Tisch lag (was man den Dummen aus der Tasche gezogen hatte), schon juckte es mächtig. Auf: investieren - die Schnellen etc. Und so wurden Läden zusammengerafft, die noch beschissener waren als der eigene. Von Geschäftskonzept weit und breit nichts zu sehen, der Businessplan von Dreijährigen gezeichnet. Und weg war das ganze schöne Geld. Verbrannt!

Oder nehmen wir den smarten Finanzberater von der Bank, der nicht eher Ruhe gab, bis er die Schrottpapiere vertickt hatte, die er loswerden musste: Er hat die dicken Boni, die Käufer die dicken Verluste.

Bekanntlich wurde Rom auch nicht an einem Tag erbaut. Aber Rom liegt ja auch in der „Alten Welt“. Und nichts mit New Economy. Aber verdammt viel Geschichte. Zum Draus-Lernen.

Und was lernen wir daraus? Wo finden wir immer wieder den Satz mit den „Schnellen und den Langsamen“? Oder diesen noch: „Ich prüfe jedes Angebot, das ich erhalte. Es könnte das Angebot meines Lebens sein (Henry Ford)“. Wer solche Sätze auf seine Werbung schreibt, der hat nichts Ordentliches anzubieten. Wer Ordentliches anbietet, braucht nicht zu quaken.

Deshalb, wenn Sie wieder ein Schreiben mit solchen „Aufmachern“ finden, ratzfatz, ab in den Papierkorb. Selbst die Zeit, die Sie zum Kopfschütteln benötigen, ist schon vergeudete Zeit. (Quelle: Der clevere Lebenskünstler)




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© Copyright: Roland Benn / BIG BENN BOOKS

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