Sozialer Kredit - was ist das?
Ist es die Zukunft moderner Gesellschaften? In China wird dieses System gerade getestet.
China ist ein
Ein-Parteien-Staat, der 1,4 Mrd. Menschen zu regieren hat, gleichzeitig
ist das Land aber auch weltweit führend in KI (Künstlicher Intelligenz)
und Big Data. Wie bringt man ein solch riesiges Volk unter Kontrolle? Keinem Staat ist dies bislang vollständig und gewaltfrei gelungen.
Momentan testen aber
40 Städte das sog. Sozial-Kredit-System, das allgemein Aufrichtigkeit,
Integrität und Glaubwürdigkeit der Bürger verbessern soll.
Dabei wird auf verschiedenste Datenbanken zugegriffen, um für jedes
Individuum einen Score zu ermitteln. Der wird dann entscheiden, ob
jemand einen Job, einen Kredit oder eine Wohnung bekommt. Oder
beispielsweise Auto fahren und in ein Flugzeug einsteigen darf. Jeder
der derzeit noch freiwilligen Teilnehmer beginnt mit 1.000 Punkten.
Dieses „soziale Führungszeugnis“ gibt Auskunft darüber, ob der Inhaber
ein guter oder ein schlechter Bürger ist. Der Big Data Zentralcomputer
sammelt Daten von ca. 50 Behörden. Gewolltes Verhalten wird mit
Pluspunkten honoriert. Wer dagegen gegen Gesetze und Regeln verstößt,
von der Norm abweicht oder wer sonst wie ungewünschtes Verhalten zeigt,
verliert Punkte. Man kann sein Punktekonto mit gutem Verhalten und
gewünschten Aktionen erhöhen, das sind u.a.:
- Keine Straftaten
- Verkehrsregeln beachten
- Pünktliche Kreditrückzahlungen
- Keine Steuerschulden
- Blut oder Geld spenden
- Nachbarschaftshilfe oder Ehrenamt
- Die Umwelt schützen
- Versprechen einhalten
- Anweisungen des Dorfkometees befolgen
- Auszeichnungen aller Art
- Und vieles mehr…
Punktabzüge
gibt es bei entsprechenden Verstößen, aber beispielsweise auch, wenn
man seine alternden Eltern nicht regelmäßig besucht, Gerüchte in die
Welt setzt, bei Onlinegames schummelt, Verkehrsregeln missachtet, seine
Rechnungen nicht bezahlt oder – natürlich – politisch auffällig ist.
Den Kriterien sind praktisch keine Grenzen gesetzt und reichen von
Alkohol- und Drogenmissbrauch über aggressives Verhalten bis hin zu
Faulheit, Unhöflichkeit und Gerüchte verbreiten.
Die höchste Stufe AAA erreicht ein Musterbürger mit 1.300 Punkten. Dann
gibt es Rabatt bei Strom- oder Wasserrechnungen, muss man keine Kaution
leisten in der Bücherei oder für Leihfahrräder. Ein schnellerer
beruflicher Aufstieg ist möglich, der Zugang zu Bank- und
Konsumentenkrediten wird leichter und billiger, die Kinder dürfern in
bessere Schulen, Steuererleichterungen stehen in Aussicht usw.
Und Schwiegereltern wird die Frage, ob der Verlobte denn der Richtige
für die Tochter sei, auch erleichtert (und umgekehrt!). Dann wird das
Punktesystem zum Schwiegersohn-/Schwiegertochter-TÜV…
Personen, die ein mageres Punktekonto hatten, wurden seit 2018 wie folgt sanktioniert:
- 128 Personen durften China nicht verlassen wegen Steuerschulden
- 1.400
Hundebesitzer verloren ihr Haustier, weil Sie wiederholt ihren Hund
nicht an die Leine nahmen oder den Kot nicht entfernten.
- 290.000 Personen wurde der Eintritt ins Management eines Unternehmens verweigert oder eine Firma zu vertreten.
- 5,5 Millionen Mal wurde der Kauf von Bahntickets verweigert.
- 17,5 Millionen Mal wurde der Kauf von Flugtickets verweigert.
Die Regierung sagt
klar: "Die Vertrauenswürdigen sollen frei unter dem Himmel umherziehen
können, während es den in Verruf geratenen schwer gemacht wird, einen
einzigen Schritt zu tun."
In China sind Vertrauenswürdigkeit und Aufrichtigkeit ganz wichtige
Tugenden. Zudem hat die Bevölkerung nicht wie im Westen übergroße
Bedenken bezüglich des Datenschutzes, solange es dem sozialen Frieden
in der Gesellschaft nützlich ist. Man wird sehen, ob das Social Credit
System bessere Bürger hervorbringt. Die entsprechende Grundmentalität
ist vorhanden und die hohe Zahl der freiwilligen Teilnehmer spricht für
sich.
Schon 2020 sollen 22 Millionen weitere dazukommen, denn dann soll SCS für alle Pekinger verpflichtend werden…
In Deutschland gibt es ganze zwei Millionenstädte (Berlin und Hamburg).
China hingegen hat über 150. Viele werden zu so genannten Smart Cities.
Smart City ist laut Wikipedia ein Sammelbegriff für gesamtheitliche
Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter,
technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu
gestalten. Diese Konzepte beinhalten technische, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Innovationen.
Das bezieht auch die Überwachung der Bevölkerung mit ein. Die
Technologie zur Gesichtserkennung selbst von Milliarden Menschen wird
bald einsatzbereit sein. Die Polizei wird zusätzlich Drohnen und
Brillen mit Künstlicher Intelligenz zur Überwachung benutzen. Riesige
Leinwände werden z.B. Fußgänger, die die Verkehrsregeln missachten, auf
der Stelle öffentlich bloßstellen, um andere davon abzuhalten, gleiches
zu tun.
Und ich nehme an, dass China das erste Land sein wird, das Bargeld
abschaffen wird. Dank Blockchain (auch hier ist das Land heimlich ganz
weit vorn in der Entwicklung) wird es nur noch bargeldlose
Transaktionen geben und die Überwachung damit vollkommen sein.
Man darf gespannt sein, ob sich die in China im Vergleich zum Westen
ohnehin schon viel geringere Kriminalitätsrate noch weiter senken
lässt. Sicherlich werden positive Erfahrungen und Maßnahmen auch in der
restlichen Welt Nachahmung finden. Vielleicht gibt es eines Tages auch
keine Stadtviertel mehr, in die sich selbst die Polizei nicht mehr
reintraut.
Das zweifellos ehrgeizigste Überwachungsprojekt der
Menschheitsgeschichte stellt selbst George Orwells Roman „1984“ in den
Schatten. Man darf gespannt sein, wie dieses gesellschaftliche
Experiment ausgeht. Das letzte, nämlich die so genannte
Kulturrevolution, bei der Mao Tsetung von 1966 bis 1976
Gesinnungsschnüffelei betrieb, um das Denken der Chinesen zu verändern,
endete bekanntlich im Chaos.
Update:
Anscheinend ist man auch wieder etwas abgerückt von der
SKS-Allmachts-Traum. Prof. Dr. Wolfram Elsner spricht in diesem
Interview auch die aktuelle Situation an und auch sonst hat der
China-Experte noch erstaunliche Informationen über China, die Ihren
Horizont erweitern dürften:
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